Die Hauptfigur mit dem passenden Namen „Alter Ego“ beleuchtet in einzelnen Szenen und Begebenheiten den wechselvollen Kosmos seiner Familie. Lakonisch, witzig und berührend wird geliebt, gekränkt, geflüchtet und geputscht. Da attackiert die aus Schlesien stammende Urgroßmutter den künftigen Schwiegersohn mit dem Regenschirm und beschimpft ihn aufs Heftigste, während ihre Tochter vom Generalkonsulat der BRD „vor der Ehe mit einem Mohammedaner“ gewarnt wird. Trotzdem heiraten beide und bekommen einen Sohn. Doch lange hält es den jungen Vater nicht in Deutschland, er kehrt nach Istanbul zurück und übersetzt große Werke deutscher Literatur – u. a. von Brecht, Böll, Hesse und Kafka – ins Türkische. Und führt fortan eine Fernbeziehung. Die nächste Generation wiederum ist zwischen beiden Ländern hin- und hergerissen. Doch was macht Identität eigentlich aus? Und was ist Heimat?
Pointiert und mit großem Witz führt uns Şipal durch (s)eine vielschichtige und berührende deutsch-türkische Familiengeschichte: Zwischen Istanbul und Wanne-Eickel lässt er vier Generationen mit ihren individuellen Lebensläufen, Charakteren und Erlebnissen aufeinanderprallen. Schlaglichtartig, in poetischen Bildern und durch die verschiedenen Zeiten springend, verweben sich autobiografische Elemente mit fiktionalen und schaffen eine Erzählung von großer Kraft. Persönliche Wünsche, Sehnsüchte, innerfamiliäre Auseinandersetzungen und Generationenkonflikte sind dabei ebenso Bestandteil dieses komplexen Kaleidoskops wie Vorurteile, Intoleranz und rassistische Meinungen, auf die alle Familienmitglieder immer wieder treffen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vermischen sich zu einem großen Geschichts- und Geschichtenstrom.
Mutter Vater Land zeichnet mit hohem Tempo und hintergründigem Humor eine Welt, in der sich Kulturen vermischen und zu etwas ganz Neuem werden. 2021 als Auftragsarbeit für das Theater Bremen entstanden, wurde das Stück ein Jahr darauf mit dem Publikumspreis der renommierten Mülheimer Theatertage ausgezeichnet. Christina Gegenbauer vom Landestheater Detmold hat eine präzise Inszenierung geschaffen, die mit einem bestens aufgelegten Ensemble auch den kleinen Momenten Raum gibt und den Zuschauer auf einen rasanten Ritt durch eine spannende Familiengeschichte mitnimmt.