Hamm, die Stadt des Drahtes – Aspekte der Industrialisierung
Der Bau der Eisenbahn von Köln nach Minden gab den wesentlichen Impuls für die industrielle Entwicklung der Stadt Hamm. Die Drahtproduktion sollte zum wichtigsten Industriezweig werden. Ihr Ursprung war der im Jahre 1797 von Wilhelm und Johann Caspar Hobrecker gegründete Betrieb, in dem unter anderem Nägel und Ketten erzeugt wurden. 1820 wurde die Anlage eines Eisenwalzwerkes am Nordentor genehmigt. Es lag direkt an der Lippe, deren Wasser zum Antrieb für die Maschinen benötigt wurde. Produkte waren gewalzte Eisenplatten für Ofen- und Kesselrohre. Nach einer Erweiterung um eine Drahtwalze und eine Drahtzieherei entstand eines der ersten Puddelwerke im westfälischen Industriegebiet.
1854 hatte sich westlich des alten Köln-Mindener Bahnhofs ein Drahtwerk etabliert, dessen Gründer Josef Cosack am 2. April des Jahres die Genehmigung zur Anlage eines Puddel- und Walzwerkes erhielt. Cosack hatte die Bedeutung der Eisenbahn für den Güter-Massentransport erkannt und erwarb Grundstücke im Westteil Hamms im Winkel zwischen Lippe und Bahnhof. 1856 gründete er mit drei Partnern die Firma „Cosack & Co“. 1858 produzierte das Werk jährlich 2.580 Zentner Stabeisen, 960 Zentner Eisendraht und 180 Zentner Gusswaren.
Gut zu wissen
Die Hammer Industriepioniere
Johann Karl Hobrecker (* 25. April 1811 in Hamm; † 30. März 1875 in Hamm) besuchte das Gymnasium Hammonense, danach hielt er sich häufig im Ausland auf, um dort praktische Erfahrungen als "Mechanicus" zu erlangen (Schweiz und England). Im Jahr 1856 errichtete Johann Karl Hobrecker mit Hermann und Julius Witte und Wilhelm Herbers in Hamm das erste nur mit Dampfkraft arbeitende Drahtwerk Europas.
Caspar Josef Cosack (* 19. Juni 1801 in Neheim; † 18. September 1879 in Karlsbad) gründete mit seinen Partnern aus Hamm 1853 in Hamm ein Puddel-, Walz- und Drahtwerk Cosack & Co. wegen der besseren Anbindung an die Eisenbahn. Organisatorisch war dieses insofern innovativ, als es alle Produktionsschritte von der Erzeugung von Puddeleisen bis zum Endprodukt in sich vereinte. Im Jahr 1865 wurde er Alleininhaber. Im Jahr 1873 verkaufte er sein Werk in Hamm, das zum Kern der Westfälischen Union AG für Eisen- und Drahtindustrie wurde.
Foto: Portraitaufnahme von Johann Karl Hobrecker (links) und Caspar Josef Cosack
Quelle: Stadtarchiv Hamm
Die Gründung der WDI
1856 gründete Carl Hobrecker mit Unterstützung Iserlohner Unternehmer eine Drahtfabrikation, die ebenfalls westlich des Bahnhofsgeländes angesiedelt wurde. Schon während des Baues erhielt der Betrieb einen eigenen Gleisanschluss. Das neue Drahtwerk wurde als erstes seiner Art ausschließlich mit Dampfkraft betrieben. 1872 war die Firma in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden. Sie verfügte über 875 Mitarbeiter, der Gesamtumsatz war auf 4,6 Millionen Mark angestiegen. 1890 führte das Werk den Namen „Westfälische Drahtindustrie“ (WDI). 1910 kam das 1874 im Hammer Norden errichtete „Eisen- und Stahldrahtwerk Eduard Hobrecker G.m.b.H.“ hinzu.
Die Entwicklung bis zum Zweiten Weltkrieg
Die Fabrik von Josef Cosack verfügte um 1870 über 20 Puddelöfen und über 500 Mitarbeiter. Neben Telegrafendraht produzierte man Nieten, Schrauben und Stifte. 1873 folgte die Vereinigung mit zunächst drei, später weiteren Unternehmen des Eisengewerbes zur „Westfälischen Union“ (WU) mit Hauptsitz in Hamm.
Nach dem Ersten Weltkrieg stieg die Belegschaftszahl der WDI auf 3.201 Personen, bei der Westfälischen Union waren rund 2500 Personen beschäftigt. Allein die WDI errichtete mehr als 300 Wohnungen, unter anderem auch die Siedlung auf dem Daberg.
Im Zweiten Weltkrieg wurden die in nächster Nähe zum Verschiebebahnhof liegenden Betriebe durch Bombenangriffe schwer beschädigt. In der Drahtindustrie wurden während des Krieges zahlreiche Zwangsarbeitende und Kriegsgefangene eingesetzt. Die Wiederaufbauarbeiten zogen sich über mehrere Jahre hin. Die Westfälische Drahtindustrie war zeitweise von der Demontage bedroht.
Wechselnde Zugehörigkeiten
Im Laufe der Zeit wechselten die Zugehörigkeiten der Hammer Drahtwerke. Die WDI gehörte von 1911 bis 1951 zum Krupp-Konzern, 1978 bis 1987 zu Klöckner. Seitdem ist sie wieder selbstständig.
Die Westfälische Union war seit 1898 Teil der Phoenix AG. 1970er-Jahren ging die sie in der Thyssen Draht auf.
Während die wieder eigenständige WDI nach wie vor Drahtprodukte (Draht, Baustahl, Zäune, Geflechte und Seile) fertigt, ist die Westfälische Union über ihre Zugehörigkeit zum Thyssen-Konzern mit der Sparte Schweißtechnik (Produktion von Schweißzusatzstoffen) Bestandteil der Voestalpine Böhler Welding Gruppe.