Mein Kind wird fit - Ich mach mit!

„Wir tun uns einfach nur gut hier“

Nuray Acu referiert vor einer Gruppe von sieben Frauen mit türkischen Wurzeln. Anschaulich erklärt sie, wie es zu Schlafstörungen bei Kindern kommt und was man dagegen tun kann. Gelegentlich mogeln sich ein paar deutsche Wörter in ihren türkischsprachigen Vortrag: Von „Stress“, „Zaubermitteln“ und „Ritualen“ ist die Rede. Die Frauen hören gespannt zu, fragen nach, bringen eigene Erfahrungen ein und kommen miteinander ins Gespräch. Sie tun das auf Türkisch, in ihrer Muttersprache. Zwischendurch knuddeln sie reihum den kleinen Emir. Seine Mutter hat heute keinen Babysitter gefunden und ihn kurzerhand mitgebracht zur Elterngruppe. Keine der Frauen fühlt sich durch den neun Monate alten Steppke gestört. Sie alle haben selbst Kinder und wissen, wie das ist, wenn Plan A nicht funktioniert. Ihre Zeit miteinander genießen sie sichtlich. „Wir tun uns einfach nur gut hier“, sagt Yale, eine der Frauen.

Seit sechs Jahren leitet Nuray Acu als Multiplikatorin des Projektes „Mein Kind wird fit – ich mach mit“ einmal wöchentlich die Gruppe in Herringen, zu der bis zu 12 Mütter kommen. Die meisten der Frauen können sich kaum auf Deutsch verständigen und unterhalten sich deshalb während der Treffen auf Türkisch. „Die Multiplikatoren sprechen in ihrer jeweiligen Muttersprache mit den Eltern. So erreichen wir auch Mütter und Väter mit Migrationshintergrund und eröffnen ihnen Zugänge zu Erziehungs- und Bildungseinrichtungen“, erläutert Leyla Hamzaoglu. Die Diplom-Sozialpädagogin koordiniert im Stadtteilbüro Hamm-Westen zusammen mit Aylin Konkmaz das Projekt „Mein Kind wird fit – ich mach mit“, bei den Eltern wie Nuray Acu als Mittler in Erziehungsfragen fungieren. Die Multiplikator*innen bieten in verschiedenen Sprachen stadtweit Gruppenangebote und Vorträge an oder organisieren Elterncafés in Kitas und Schulen.

Die Treffen der Herringer Elterngruppe beginnen jedes Mal mit einem ausgiebigen Frühstück. „Wir haben eine Käsefrau, eine Olivenfrau, eine Brötchenfrau“, zählt Nuray Acu auf. „Alles ist organisiert, jede Frau bringt etwas mit.“ Während des Frühstücks tauschen die Mütter sich erst einmal aus: Was war in der vergangenen Woche mit den Kindern los? Wo gab es Probleme im Erziehungsalltag? Was steht in den kommenden Tagen in der Kita oder in der Schule an? „Oft merke ich dann schon, in welche Richtung der Bedarf der Frauen geht“, sagt Nuray Acu.

Die Fragen, mit denen die Multiplikatorin immer wieder konfrontiert wird, drehen sich um den Besuch beim Kinderarzt, um Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen oder um Hausaufgaben, Geschwisterstreit und zickiges Verhalten in der Pubertät. Der Übergang ihrer Kinder zur weiterführenden Schule beschäftigt einige der Frauen gerade sehr intensiv. Nuray Acu, die von den Teilnehmer*innen liebevoll „große Schwester“ genannt wird, geht einfühlsam auf alle Anliegen ein. Die Frauen profitieren enorm von den Treffen. „Dienstagsmorgens nehme ich mir nichts anderes vor“, sagt Bedia (34), Mutter einer zwölfjährigen Tochter. Sie und ihre Schwester Nefize (37) kommen schon seit Jahren regelmäßig zur Elterngruppe. „Wir Frauen brauchen das: uns auszutauschen über das, was wir mit den Kindern erleben.“

Nach dem Frühstück behandelt die Multiplikatorin entweder eines der Probleme, das den Frauen unter den Nägeln brennt oder sie bringt selbst ein Thema auf den Tisch. Ziel des Projektes „Mein Kind wird fit – ich mach mit“ ist es, die Erziehungskompetenz von Eltern zu stärken. Ihr fundiertes Wissen rund um die Erziehung und Förderung von Kindern hat Nuray Acu während einer praxis- und erlebnisorientierten Schulung erworben, die von den Stadtteilbüros Hamm-Westen und Hamm-Norden durchgeführt wurde. 

Die Themenbereiche Ernährung und Bewegung liegen der 44-jährigen Multiplikatorin besonders am Herzen. Moderne Medien fesseln Kinder, weiß die erfahrene Mutter von Zwillingen. Die Folge: Das Austoben an der frischen Luft kommt oft zu kurz. Deshalb stehen regelmäßig Ausflüge auf dem Programm der Elterngruppe, bei denen Nuray Acu die Eltern ohne ihre Kinder in Parks und auf Spielplätze begleitet. Vor Ort erklärt sie was ihre Sprösslinge durch unterschiedliche Bewegungsangebote lernen und worauf es ankommt beim Spielen.

„In unserer Tradition neigen wir dazu, Kinder sehr stark zu umsorgen“, weiß die türkischstämmige Multiplikatorin. Sie ermutigt die Eltern dazu, ihre Kinder eigene Erfahrungen machen zu lassen. Was muss ich beim Rutschen und Schaukeln beachten? Was darf ich meinem Kind zutrauen?“ – Um solche Fragen geht es ganz praxisnah direkt an den Spielgeräten. „Die Eltern werden selbstbewusster und aktiver. Sie erfahren viel über Erziehung, setzen sich mit ihrer Rolle auseinander und tun damit gleichzeitig etwas für sich“, beschreibt Projektleiterin Leyla Hamzaoglu die positiven Effekte von „Mein Kind wird fit – ich mach mit“. In der Elterngruppe sorgt Nuray Acu für eine wohlwollende Atmosphäre unter den Teilnehmer*innen und ermutigt sie, sich untereinander zu vernetzen. Mittlerweile unterstützen die Eltern sich auch im Alltag gegenseitig. Sie unternehmen gemeinsam etwas oder dolmetschen füreinander beim Kinderarzt und in der Schule.

Außer den Treffen in Herringen leitet Nuray Acu in Heessen und Pelkum zwei weitere Gruppen für Eltern. Gelegentlich wird sie auch von Moscheevereinen eingeladen, Vorträge über Geschwisterstreit, Lernmethoden oder Hausaufgaben zu halten. Die vielfältigen Bildungsangebote räumen Unsicherheiten aus und sorgen für eine bessere Integration.

Text: Petra von der Linde

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